Panta rhei: auch bei den Mehrwertsteuerausnahmen im Finanzbereich?

MWST
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Angelina Sulzer
Angelina Sulzer
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16.1.2025
Panta rhei: auch bei den Mehrwertsteuerausnahmen im Finanzbereich?

Sachverhalt

Die Automatisierung und Digitalisierung ermöglichen in der Finanzbranche ein viel breiteres Produktangebot und eine viel innovativere Produktauswahl als früher. Dadurch werden auch neue Modelle der nationalen und internationalen Zusammenarbeit sowohl zwischen verschiedenen Finanzinstituten als auch zwischen den Finanzinstituten und deren Kunden ermöglicht.

Auffällig an der neueren Rechtsprechung ist die stark auseinanderklaffende Meinung zwischen dem Bundesgericht und dem Bundesverwaltungsgericht, was für die Unternehmen den Weg zum Bundesgericht unausweichlich macht. Die Rechtsprechung führt auch zu neuen Voraussetzungen für die Anwendbarkeit des Leistungskatalogs der MBI-14 sowie einer Tendenz, von ursprünglich von der Steuer ausgenommenen Leistungen zu deren zumindest teilweisen Steuerbarkeit am Ort der Leistungserbringer überzugehen.

Diese neuen Gegenausnahmen von den altbekannten Ausnahmen nach MWSTG sind auf Gesetzes- und Verordnungsebene nicht explizit definiert und geben eine neue Gedankenrichtung und einen erweiterten Gestaltungsrahmen beim Erarbeiten der aktuell wirksamen Konzepte.

Die Beschreibung der einzelnen Finanzdienstleistungen sowie die MWST-Qualifikation des Leistungskatalogs gemäss Ziffer 6 der MBI-14 «Finanzbereich» ist seit jeher unverändert und damit noch immer auf dem Stand der Entstehung der Schweizer MWST. Auch die Brancheninfo wurde leider nicht an die aktuelle Rechtsprechung angepasst, wobei auch keine Bestrebungen für solche Anpassungen resp. Aktualisierungen feststellbar sind.

Die Unsicherheiten führen unter anderem bei MWST-Kontrollen zu intensiven Diskussionen über die Steuerbarkeit von Leistungen, insbesondere über die Steuerbarkeit sämtlicher Vermittlungsleistungen im Finanzbereich. Die aktuellen Bundesverwaltungsgerichtsentscheide A-3646/2023 vom 1. November 2024 und A-5117/2023 vom 1. November 2024 sind die neuesten Beweise dafür, dass die Vermittlungsleistung im Finanzbereich je nach Zielsetzung und Ausgestaltung sowohl eine zum geltenden Normalsatz steuerbare Dienstleistung als auch eine von der Steuer ausgenommene Dienstleistung sein kann. Die korrekte Antwort darauf, was im Einzelfall gilt, ist komplex und von vielen verschiedenen Faktoren abhängig. Dies führt bei MWST-Kontrollen nicht selten zu wesentlichen MWST-Nachbelastungen.

Grundsatz

Die Mehrwertsteuer ist eine Selbstveranlagungssteuer. Das bedeutet, dass die Eidgenössische Steuerverwaltung gestützt auf Art. 78 MWSTG das Recht hat, innerhalb der Verjährungsfrist der eingereichten MWST-Abrechnungen MWST-Kontrollen durchzuführen. Dabei ist jedes Unternehmen für die vollumfängliche und korrekte Deklaration seiner Umsätze und Dienstleitungen - darunter die vielen Ausnahmen und Spezialfälle im Finanzbereich - und deren richtige MWST-Qualifikation verantwortlich.

Fazit

Die neuesten Gerichtsurteile beweisen die grosse Bedeutung präziser Abklärungen der zugrundeliegenden Leistungen im Finanzbereich, wobei eine vertiefte Auseinandersetzung mit der neuen bundesgerichtlichen Rechtsprechung unabdingbar ist.

Akteure der Finanzbranche sind deshalb gut beraten, eine mehrwertsteuerliche Neubeurteilung ihres Leistungskatalogs vorzunehmen.

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